„evangelisch“ wird im allgemeinen Verständnis als formale Zugehörigkeit entweder zu einem konfessionellen Lager oder aber - angefangen bei den Steuerdaten – zu einer der evangelischen Landeskirchen verstanden. In diesem Sinne sind wir nicht evangelisch.
Aber im eigentlichen Wortsinn sind wir evangelisch und wollen es auch sein. Weil unsere Wurzeln in der (Gemeindebewegung der) Reformation liegen und vor allem weil wir mit der Reformation evangelisch, d.h. dem Evangelium gemäß, glauben und leben (wollen).
Denn der christliche Glaube hat seinen Ursprung und bleibenden Grund im Evangelium von Jesus Christus.
Das griechische Wort „eu-angélion“, meint: „gute Nachricht“, „frohe Botschaft“ oder „Siegesnachricht“. Bereits in vorchristlicher Zeit hat dieser Begriff im römischen Kaiserkult religiöse Bedeutung bekommen. Der Kaiser wurde als ein göttliches Wesen verstanden, das durch seine Person und sein Wirken Heil und Frieden für die Menschen schafft. Im Neuen Testament wird dieser Begriff „eu-angélion“ übernommen als zusammenfassende Bezeichnung für die Botschaft von Jesus Christus (vgl. Markus 1,14f oder Römer 1,1) und damit dem Anspruch des Kaisers entgegengestellt.
In seinen Worten und Taten verkündigt Jesus das Evangelium Gottes, die „Siegesnachricht“ von der beginnenden Herrschaft Gottes, die wirklich Frieden und Heil für alle Welt stiftet. In seiner ganzen Person verkörpert er diese Botschaft. Die Christusfeste im Kirchenjahr erinnern uns an die inhaltlichen Aspekte des Evangeliums. An Weihnachten verkündet der Engel die „große Freudenbotschaft, dass Christus, der Retter geboren ist“ (Lukas 2,10.11), dass das ewige Wort Gottes ein Mensch wie wir wurde. An Karfreitag wird die schmerzliche und zugleich befreiende Nachricht deutlich, dass Gott in Christus war und in seinem Kreuzestod die Welt mit sich versöhnt hat (2. Korinther 5,19), dass er unsere Schuld, Schmerzen, Krankheit und den Tod getragen hat (Jesaja 53,4.5). Am Ostermorgen wird uns die frohe Botschaft verkündigt, dass wir Jesus nicht bei den Toten, sondern bei den Lebenden finden (Lukas 24,5b.6a), dass er der Erste der neuen Schöpfung ist (1. Korinther 15,20). Und am Himmelfahrtstag wird uns die Hoffnung gegeben, dass er jetzt beim himmlischen Vater ist, von wo er wiederkommen wird, um durch Gericht und Gnade die Herrschaft Gottes zur Vollendung zu bringen (Apg 1,11). Deshalb ist Jesus Christus allein Gottes Wahrheit und Gottes Weg zum Leben („solus christus“). Und dieses Evangelium ist uns allein gegeben in der Bibel, dem von Gottes Geist inspirierten und verbindlichen Zeugnis. Deshalb ist die Bibel allein Quelle und Norm unseres Glaubens und Lebens („sola scriptura“).
Die befreiende Erfahrung, dass allein Gottes Gnade genügt, dass Gott sich uns ganz zuwendet, dass er uns bedingungslos liebt und dass er in Jesus Christus alles für unser Heil und zu unserer Versöhnung getan hat („sola gratia“), erwächst aus der heilsamen Begegnung mit Jesus Christus. Es war für die Jünger das Glück ihres Lebens, Jesus zu begegnen. Es ist auch für mich das größte Glück meines Lebens, durch Gottes Wort und Geist, durch andere Menschen, Jesus zu begegnen und damit Gottes Liebe und Erbarmen in Person.
Ihm zu begegnen, ihm sich anzuvertrauen, sich zu ihm zu kehren, allein an ihn zu glauben („sola fide“), das löst mich von der Starre der Sünde und des Todes, erfüllt mein Herz mit Lebendigkeit, Frieden und einer tiefen Freude.
Diese Freude ist immer wieder gefährdet im Leben der Glaubenden, etwa durch leidvolle Erfahrungen, durch Schuld und Zweifel oder in der Begegnung mit der Mächtigkeit des Todes. Auch die Gemeinschaft der Glaubenden, die eine herzliche, stärkende und tragende oft ist, kann die Freude verdunkeln. Wenn Misstrauen wächst, Streit herrscht, die Sünde der Lieblosigkeit mächtig wird.
Diese Gefährdungen können wir nicht mit unseren Anstrengungen überwinden, sondern nur in der lebendigen Verbindung mit Jesus. Deshalb ist es so wichtig, immer wieder auf Jesus zu sehen, sich ihm zuzuwenden, sich an ihm auszurichten, die Begegnung mit ihm in seinem Wort und durch den Geist, zu suchen, für sich selbst und miteinander, um immer wieder neu mit seiner Freude angesteckt und erfüllt zu werden. Diese Freude am Evangelium trägt. Sie will das Herz füllen und sie will in uns überfließen. Freude will mitgeteilt werden, nicht für sich bleiben.
Evangelisch sein heißt deshalb auch, das Evangelium bezeugen und weitergeben. Deshalb wollen wir Menschen zur heilsamen Begegnung mit Jesus Christus einladen, die Liebe und Lebensfreude Gottes weitergeben und zum Vertrauen in das Evangelium von Jesus Christus ermutigen, damit Menschen diese tiefe Freude erleben.
„Evangelisch“ ist keine formale Zugehörigkeit, sondern eine Lebenshaltung, ein Sein, eine befreiende Lebensfreude. Wir wollen also „frei-evangelisch“ und „fröhlich evangelisch“ sein, es immer wieder üben und weitergeben.